Auf einer Fachtagung in Mainz debattierten rund 200 Sozialarbeiter, Wissenschaftler, Berater und Polizisten über Gewalterfahrungen im Kindheitsalter und wie dieser Kreislauf durchbrochen werden könnte. Der Münchner Traumaforscher Markos Maragkos geht davon aus, dass beziehungstraumatische Ereignisse wie wiederholte Misshandlung in der Kindheit vielfach von Generation zu Generation weitergetragen werden.
Verschiedene Untersuchungen belegen tatsächlich, dass Gewalterfahrungen in der Kindheit den eigenen Hang zur Straftat nicht nur fördern, sondern sogar die Lust darauf erhöhen.
Trotzdem bin ich der Meinung, dass es eine Möglichkeit gibt, diesen Kreislauf zu durchbrechen. Wer eigene Gewalterfahrungen in der Kindheit durchlitten hat, muss nicht zwangsläufig diese Erziehung an seine eigenen Kinder weitergeben.
Traumatische Erlebnisse aufarbeiten
Ich selbst bin in einer Generation aufgewachsen, die durchwegs von traumatisierten Eltern erzogen wurde. Für meine eigenen Eltern war es „normal“ mit Gewalt zu erziehen. Prügel und stundenlanges „in der Ecke stehen“ gehörten sozusagen zum Alltag. Die gelegentliche „Watschn“ sowieso. Natürlich hätte ich diese Erziehung in mich aufnehmen und an meine eigenen Kinder weitergeben können.
Erziehung ist Arbeit
Doch schon in meiner Pubertätszeit sah ich die Ungerechtigkeit dieser Erziehung. Ich empfand sie damals als genau das was sie war: als grausame Misshandlung. Deshalb beschloss ich damals, meinen eigenen Kindern eine solche Erziehung niemals zuzumuten. Ich hielt an diesem Entschluss fest und beschloss “die Welt zu verändern” und Erziehung zu meinem Beruf zu machen. Damals waren die Erziehungsvorstellungen gerade im Umbruch. Die antiautoritäre Erziehung war in aller Munde. Schon bald erkannte ich, dass solche Erziehungsvorstellungen bedeuteten, das „Kind mit dem Bade auszuschütten“. Sie waren „too much“. Es galt einen Mittelweg zu finden. Erziehung ist Arbeit. Es ist oft ein langer Weg, bis man herausbekommt, was für die eigene Erziehung richtig ist. Wichtig ist, dass man sich selbst reflektiert und sich auch mal ausbremst. Hilfreich ist es, wenn man Menschen hat, mit denen es möglich ist, über Erziehung zu diskutieren. Zusätzliche Hilfe können auch Bücher leisten.
Die eigene Wut kanalisieren
Wer selbst in seiner Kindheit Gewalterfahrungen gemacht hat, wird immer wieder eine ungeheure Wut in sich spüren. Wie diese hoch kommt – das wird bei jedem ein wenig anders sein. Vielleicht in Tränen, in Verzweiflung. Da ich Christin bin, stand bei mir irgendwann die Vergebung. (Nicht einmal, viele, viele Male…) Trotzdem musste diese Wut ja irgendwie raus. Für mich war es wichtig, dass ich diese Wut bei Gott lassen konnte.
Die eigenen Kinder lieben
Zur Gewalterfahrung meiner Kindheit gehört auch, dass ich ohne Zuneigung erzogen wurde. Es war eine kalte Erziehung. Trotzdem will man natürlich seine eigenen Kinder lieben. Ganz ehrlich: Das geht. Auch wenn Psychologen das Gegenteil behaupten. Ich weiß ja, dass es geht. Ich musste mich auch niemals dazu zwingen. Das ging ganz von selbst. Es ist mir ein Bedürfnis, meine Kinder zu lieben. Wenn man jedoch seine Kinder liebt, kann man eigentlich gar nicht mit Gewalt erziehen. Nicht, dass ich sie nie angeschrien hätte, nicht, dass ich niemals ausgerastet wäre. Aber Gewalt und Misshandlungen – ich war seit meiner Pubertät eine strikte Gegnerin von Gewalt und bin es bis heute. Selbst wenn ich sauer auf meine Kinder bin – die Liebe überwiegt. Genau darin liegt wahrscheinlich das Geheimnis: Wer liebt, verzichtet auf Gewalt.
Deshalb bin ich überzeugt, dass die eigene Traumatisierung keine Ausrede dafür sein darf, dass man die erfahrene Gewalt an seine Kinder weitergibt. Es ist keinesfalls zwingend notwendig. Nicht umsonst hat jeder von uns einen freien Willen und die Möglichkeit, sich frei für das Gute zu entscheiden.